Meine Reise zum Mount Everest - Reisetagebuch

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8. April 2017
Das Finale am Kala Patthar,
5.643 Meter, oder -
die Sprengung meines persönlichen Limits

Es ist 03.15 Uhr, als mein Wecker klingelt. Es hat Minusgrade und ich kann meinen Atem sehen. Nur der eisernste Kern unseres Teams stellt sich heute mit Stirnlampe ausgerüstet der nächtlichen Sonnenaufgangstour auf den Kala Patthar - 3 weltreisende Ultratrekker, ein Marathonläufer und ich.
Die Nacht war nahezu schlaflos. Ich trage meine wärmste Kleidung, aber auch nach geraumer Zeit kommt mein Körper nicht in Betriebstemperatur. Mir ist unfassbar kalt und ich atme tief, doch der Sauerstoff kommt nicht in meiner Lunge an. Der nachgiebige, holperige Geröllpfad endet und auf uns wartet ein Meer aus Felsen. Ein Optimalweg ist nicht vorhanden. Man muss seinen eigenen Weg über die nackten Felsen, die teilweise locker sind, finden. Ich müsste mich konzentrieren, aber ich kann es nicht. Ich habe Sauerstoffmangel und bin nicht in der Lage, mich auf das Wesentliche zu fokussieren. Meine Gedanken drehen sich nur um den eiskalten, heftigen Wind und um die viel zu dünne Luft. Bei den großen Felsen brauche ich meine Hände. Ich lasse meine Stöcke zurück und klettere auf allen Vieren über die Steine. Ich verletze mir die Hand und schlage mir die Knie auf. Wenige Höhenmeter vor dem Gipfel fegt mich der Wind fast vom Felsen. Mein Körper macht zu; rien ne va plus - nichts geht mehr. Ich bin auf den Knien und weine in meine Hochgebirgshandschuhe, in denen meine nicht mehr spürbaren Finger stecken. Diesmal weine ich nicht lautlos wie gestern, vor dem Camp, sondern hörbar und vermutlich ziemlich herzzerreißend. Unser Sherpa, Anfang 20, der mit uns am Berg ist, damit wir oben nicht verloren gehen, sieht mich und bei ihm gehen die Alarmglocken an. Er kommt zu mir und fragt: "Miss Mary, can you breathe?" Und ich sage: "I try, I try." Er hilft mir auf und ich kämpfe mich die letzten Meter hoch bis zum Gipfel. Dort blitzt gerade die aufgehende Sonne hinter dem gewaltigen Everest hervor, als ein dumpfes Grollen zu hören ist. Eine Lawine rauscht auf den hintersten Teil des Base Camps zu. Mein entsetzter Schrei wird von meiner Videokamera aufgenommen. Die Lawine erreicht nur den äußersten Rand des Camps. Vermutlich ist niemandem etwas passiert, doch die Menschen dort unten sind nun mit Sicherheit wach. Ein beklemmendes Gefühl; wir waren doch schließlich vor Stunden selbst noch im Camp.
Später sitze ich im Helikopter, der mich zurück nach Lukla bringt und der Flug ist eines der spektakulärsten Dinge, die ich jemals gemacht habe. Mit dem wendigen Helikopter durch das Himalaya, zwischen Bergen hindurch entlang der Flusssenken.. mit Worten nicht zu beschreiben!
Trotz der Strapazen der letzten Tage verbinde ich mit dem Himalaya nichts Negatives; ganz im Gegenteil. Ich liebe dieses Gebirge, ich liebe den Everest und die ganz andere Welt hier oben. Ich weiß, ich habe ein Kämpferherz, doch die Zeit im Himalaya hat mir noch mehr Möglichkeiten eröffnet, mir gezeigt, wozu man in der Lage ist. Eine ständige Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung. Es war vielleicht die beste Zeit meines Lebens. Morgen fliegen wir mit der Kleinmaschine zurück nach Kathmandu und genießen die letzten Tage im Palasthotel. Niemand kann sich vorstellen, wie sehr ich mich auf fließendes, heißes Wasser und ein kuscheliges, warmes Bett freue!

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7. April 2017
Mount Everest Base Camp, 5.356 Meter



Um zum Base Camp zu gelangen, müssen wir zunächst von Lobuche nach Gorak Shep, dem höchstgelegenen, nur für Trekker betriebenen "Ort" der Welt aufsteigen. Hier stärken wir uns für die weitere Etappe zum Basislager.

Bereits unweit von Gorak Shep bricht ein Teil der Gruppe den weiteren Aufstieg ab. Sie stellen für sich fest, dass sie es bis zum Basislager voraussichtlich nicht schaffen werden. Der Aufstieg ist hart. Die Etappe zum Camp führt überwiegend über Geröll- und Felswüsten oder über einen schmalen Felsgrat, der Konzentration und Trittsicherheit erfordert. Die noch verbliebene Gruppe
zerstreut sich aufgrund des unterschiedlichen Tempos und ich gehe allein. Heute habe ich ständig das Gefühl, zu wenig Sauerstoff aus der Atemluft zu bekommen. Ich mache mir klar, dass mir ca. 48 Prozent zur Verfügung stehen und das ausreicht, doch es hilft mir nicht. Ein Moment der Schwäche überkommt mich. Ich sitze in der Hocke und Tränen kullern unter meiner Alpina hervor. Ein junger, französischer Trekker kommt bei mir vorbei und fragt mich, ob mit mir alles in Ordnung ist. Französisch spreche ich kaum, also sage ich "No oxygen". Er nickt und kramt in seinem Rucksack. Sauerstoff kann er mir natürlich nicht geben, dafür aber ein Bonbon, das nach Cola schmeckt. Es ist lecker und kurbelt kurzfristig meinen Blutzuckerspiegel an. Ich gehe weiter. Nach einiger Zeit, die ich nicht mehr einschätzen kann, sehe ich in der Ferne, unten am Khumbu Eisfall, gelbe und blaue Zelte. Das Base Camp rückt in Sichtweite und die Lebensgeister kehren zurück.

Lediglich 7 unseres ursprünglich 14-köpfigen Teams begibt sich heute direkt in das Basislager. Der Tag hat uns allen alles abverlangt.
Im Camp treffe ich den Gipfelbesteiger wieder, welchen wir vor einer Woche auf dem Weg nach Namche Bazar kennen gelernt hatten. Zwischenzeitlich habe ich Gerüchte über seine Expedition gehört, also frage ich ihn direkt:
"Ihr macht das Ding also ohne Sauerstoff?" Er lächelt und sagt: "Ja, das habe ich vor!" Mir fällt dazu nur ein "Möge alles Glück dieser Welt mit euch sein", ein. Ob das gelingt, entscheidet sowieso der Berg allein. Das letzte Wort hat immer der Berg.

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6. April 2017
Lobuche, 5.000 Meter

Während des Aufstiegs nach Lobuche gelangen wir zu der Hochebene, auf welcher für die am Everest Verstorbenen ein Meer von Gedenksteinen errichtet wurde. Ich kannte diesen Ort aus Videos und Reportagen, aber selbst dort zu sein, ist für mich etwas Besonderes. Es ist ein andächtiger Ort mit sehr spezieller Atmosphäre.
All ihr am Everest Umgekommenen - Ruhet in Frieden.
Ihr wart Helden.




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5. April 2017
Chukhung,
Höhentraining in Richtung Base Camp des Island Peak, 4.900 Meter

Unsere Gruppe schrumpft. Die Höhenkrankheit hat sich ihr nächstes Opfer gesucht. Beim heutigen Höhentraining auf knapp 5.000 Meter war klar; meine Lodge-Zimmerkollegin wird nicht mehr weiter aufsteigen. Ich verabschiede sie mit großem Wehmut, aber wichtiger ist, dass es ihr bald besser geht.
Die Aufstiege werden langsam. Man setzt einen Schritt vor den anderen; achtet auf seine Atmung und konzentriert sich zu 100 Prozent (sofern dies hier oben möglich ist). Das langsame Aufsteigen nimmt etwas Meditatives an. Die Gespräche während des Treks werden auf das Minimale reduziert. Lachen ist anstrengend und verbraucht viel Sauerstoff. Man kommuniziert nun anders. Ein aufmunterndes Nicken oder Lächeln. Oder ein Kopfschütteln wenn es besonders zäh ist. Ein nicht geringer Teil des Teams leidet höhentypisch mittlerweile an Appetitlosigkeit. Bei mir, der "Raupe Nimmersatt" ist das noch nicht festzustellen. Ich fungiere somit als Verwerterin der Speisen, die von den anderen übrig bleiben. Eine Schüssel Porridge zum Frühstück, dazu Omelette und 5 Marmeladentoasts sind kein Problem für mich. So werden Superpowers freigesetzt und ich bin gestärkt für alles, was der Tag auch bringen mag.
Die wirklich bitteren Tage beginnen jetzt. Nachts begeben wir uns in den Bereich der Minusgrade. Noch 2 Tage bis zum Base Camp. 3 bis zum höchsten Punkt des Treks: Kala Patthar - Dich schaffen wir auch noch!

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4. April 2017
Dingboche, 4.400 Meter



Die Höhe hat uns fest im Griff. Der Tag hat bitter begonnen, denn der Erste unseres Teams musste den Trek aufgrund der Höhenkrankheit abbrechen und wird nun von einem Sherpa zurück nach Lukla begleitet. So schnell kann der Traum vorbei sein, aber sein Zustand hat sich über Nacht verschlechtert und die Gesundheit muss in jedem Fall vorgehen.

Wir befinden uns mittlerweile auf einem Routenabschnitt, bei welchem uns entgegenkommende, absteigende (überwiegend US- amerikanische) Trekker viel Glück und Durchhaltevermögen wünschen. Die Luft ist dünn und die Nächte werden kälter. Ich habe in den vergangenen Nächten Bekanntschaft mit "Sleep Apnea", einer Form der Höhenauswirkung gemacht, bei der es in der Phase des Einschlafens zum Atemstopp kommt und der Körper anschließend mit einer Schnappatmung reagiert. Ich habe mit entsprechenden Leuten darüber gesprochen; es kommt nicht selten vor und ich kann mittlerweile gut damit umgehen und erschrecke mich nicht mehr davor. Trotz Lichtschutzfaktor 50 habe ich mir die Handrücken verbrannt und mein Gesicht hat eine Hautfarbe, als wäre ich zwei Wochen am Strand gelegen. Gestern hatte ich Probleme mit den Augen und Kopfschmerzen. Man kann daran glauben oder nicht, aber nachdem ich in Tengboche (3.800 m) im Kloster bei einem hinduistischen Mönchsgebet anwesend war, sind diese Beschwerden verflogen. Heute geht es mir sehr gut! Ich bin energiegeladen, schmerzfrei und habe die Tagesetappe für die Höhenverhältnisse mit Leichtigkeit bewältigt.
Die Tage bis zum Camp und Kala Patthar werden nicht einfacher, aber das Abenteuer ist dies alles wert.

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2. April
Everest View, 3.900 Meter

Nach einer durchregneten Nacht, welche den Nebel aus der Luft gewaschen hat, steigen wir in aller Früh in Richtung der 4.000er Grenze auf. Sehr bald können wir die Ama Dablam sehen, welche berechtigt mitunter als schönster Berg der Welt bezeichnet wird.
Um 08.00 Uhr eröffnet sich (abgesehen vom Flug nach Lukla) zum ersten Mal der Blick auf den Everest - den König der Erde. Den höchsten Punkt der Welt!
Die Sicht könnte klarer nicht sein. Heute stimmt einfach alles. Ich wische die Tränen weg, vergrabe mein Gesicht in den Händen und schüttle ungläubig den Kopf.
Ein Tag im Himmel.

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1. April 2017
Namche Bazar, 3.450 Meter

Meine ersten Tränchen flossen bereits während des wundervollen Fluges in der Propellermaschine nach Lukla: Einige Minuten vor der Landung riss die Wolkendecke auf und die Eisriesen erhoben sich. Zu meiner Linken konnte ich den Gipfel des Everests erkennen und mir blieb die Luft weg. Den Berg, von dem ich als Kind schon geträumt hatte endlich in der Realität zu sehen.. dafür gibt es nicht die richtigen Worte. Die Landung in Lukla war beeindruckend, die Landebahn fast schon irreal kurz.

Himmelstor Lukla,
das Gate zum Dach der Welt. Ich werde diesen Moment nie wieder vergessen, als ich aus der Maschine gestiegen bin .

Gestern haben wir ein Höhentraining mit 1.000 m Steigung auf den Rimijung Hill (3.600 m) unternommen. Zum Zwecke der Akklimatisierung sind wir zum Schlafen wieder ein Stück abgestiegen. Mir geht es bislang hier oben körperlich und mental sehr sehr gut.
Im Himalaya den Tag beginnen und beenden zu dürfen ist ein Stück vom Himmel, besonders weil man dem Himmel so nah ist.
Heute trafen wir während einer Rast vor Namche Bazar auf einen Everest-Gipfelbesteiger, der ebenso auf dem Weg zum Camp ist. Er wird zwei Monate im Basislager verbringen, bevor der Aufstieg in Angriff genommen werden kann.
Es fällt immernoch schwer, das alles so richtig zu fassen und all die faszinierenden Eindrücke mit welchen man täglich überflutet wird, zu verarbeiten.
Ich freue mich unendlich auf die kommenden Tage; besonders auf das Knacken der 4.000 Höhenmeter und somit die Überschreitung der Baumgrenze. Dann betreten wir das ultimative Hochgebirgsszenario und das Base Camp rückt allmählich näher..

P.S. Ich kann mir nichts Beruhigenderes vorstellen, als Gebetsfahnen im Wind.

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